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Nachtfalteruntersuchungen auf der BUND-Obstwiese in Bochum im Herbst 2020   5 comments

Zucker, Apfelmus und Rotwein

Nach dem ersten gezielten Aufspüren von Nachtfaltern auf der Obstwiese mit dem Leuchtturm (vgl. Nachtleben auf der Naturschutzwiese) wurden ab September die Untersuchungen über drei Monate weitergeführt, nun aber mittels Köder: einem Gemisch aus Zucker, Apfelmus und Rotwein. Dabei macht man sich zu Nutze, dass viele Nachtfalter im Herbst an Baumsäften und überreifen Früchten saugen. Der Köder imitiert so etwas und hat dabei eine sehr große Anziehungskraft, nicht nur auf Nachtfalter. Er wurde regelmäßig auf 15 Obstbaumstämme aufgetragen.

Zusätzlich wurden Köderschnüre aufgehängt und halbe Äpfel auf Zweige der Heckensträucher gespießt, die ebenfalls mit dem Köder bestrichen wurden. Eine Kontrolle fand täglich etwa eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit statt, alle Tiere wurden bestimmt und gezählt. Das Ergebnis ist eindrucksvoll: Insgesamt fanden sich 45 Nachtfalter-Arten ein, es gab 2038 Beobachtungen!

Sechs Wochen lang täglich neue Arten

Von Anfang September bis Mitte Oktober wurden täglich neue Arten am Köder entdeckt, zwölf davon nur jeweils an einem einzigen Tag! Das unterstreicht, wie wichtig die Kontinuität bei solchen Untersuchungen ist. Viele der großen Seltenheiten und gefährdeten Arten waren nur an einem oder wenigen Tagen zu finden. Eine davon ist die bei uns sehr seltene Schmalflügelige Holzeule (Lithophane semibrunnea), die sich nur am 24. September einmal kurz blicken ließ. Sie steht auf der Roten Liste der Schmetterlinge NRWs von 2011 als stark gefährdet (RL 2). Charakteristisch für sie sind die blauen Zeichnungen.

Seltene und gefährdete Arten

Ebenfalls stark gefährdet (RL 2) ist die Ulmen-Gelbeule (Xanthia gilvago), die zweimal zum Köder kam. Auch sie ist bei uns sehr selten und wurde im Jahr 2020 nur wenige Male in NRW gefunden.

In der Kategorie „gefährdet“ (RL 3) werden Schwarzes Ordensband (Mormo maura), Großes Eichenkarmin (Catocala sponsa), Linden-Gelbeule (Tiliacea citrago, s. Foto unten), Olivgrüne Eicheneule (Dryobotodes eremita, s. Foto oben) und Gebüsch-Wintereule (Conistra ligula) geführt. Die beiden Letztgenannten traten auf unserer Wiese sogar an mehr als 10 Tagen auf.

Im Bergischen Land, an dessen Rand die Wiese liegt, ist die Einstufung in die Gefährdungskategorien oft noch höher.

Weitere Arten im Rückgang

Zwei weitere Arten unserer Streuobstwiese weisen landesweit starke Rückgänge auf. Sie werden zwar noch nicht in den Rote-Liste-Kategorien geführt, stehen aber auf der sog. Vorwarnliste. Die gibt an, dass es bei der Erstellung der letzten Roten Liste schlecht aussah für diese Arten und man musste befürchten, dass sie ohne eine Verbesserung ihrer Lebensumstände in eine Gefährdungskategorie rutschen werden. Hierzu gehören das Weiße L (Mythimna l-album) und die Rost-Wintereule (Conistra rubiginea), die sicherlich zu den prächtigsten Eulenfalter gehört, die die Wiese derzeit zu bieten hat.

Häufige Arten

Neben den seltenen und gefährdeten Arten sind auch die häufigen interessant. Sie tauchen jedes Jahr irgendwann auf, sind über einen langen Zeitraum fast täglich zu finden, werden plötzlich weniger und sind dann wieder ganz verschwunden. Die Braune Spätsommer-Bodeneule (Xestia xanthographa) z. B. war von Beginn der Untersuchungen an zu finden, ihre Anzahl steigerte sich enorm, bis am 6. September 109 Exemplare an den Bäumen saßen. Genau einen Monat später suchte die Art dann zum letzten Mal die Wiese auf. Die erwachsenen Falter (Imagines) sterben ab, die Art überwintert als Raupe am Boden.

Herbsteulen

Am 19. September flog mit der Rötlichgelben Herbsteule (Agrochola circellaris) die erste Herbsteule (Gattung Agrochola) auf der Wiese. Sie hatte mit 38 Exemplaren am 22. Oktober ihren Höhepunkt. Die Zahlen nahmen danach wieder deutlich ab, aber selbst Ende November waren immer noch einzelne Exemplare unterwegs, die allerdings schon ziemlich abgeflogen aussahen. Die Herbsteulen überwintern als Ei.

Weitere Herbsteulen der Streuobstwiese sind Mondfleck-Herbsteule (Agrochola lunosa), Dunkelgraue Herbsteule (A. lota) und Gelbbraune Herbsteule (A. macilenta). Auch die beiden letzteren flogen weit in den November hinein, waren insgesamt aber immer viel seltener als die Rötlichgelbe Herbsteule.

Gelbeulen

Ab Ende September traten für einen Monat die Gelbeulen auf den Plan. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen oft unauffällig bräunlich oder grünlichen Eulenfaltern sind die Gelbeulen auffällige Schönheiten. Ihre Grundfarben in Gelb- und Orangetönen legen nah, dass sie sich dadurch tagsüber sehr gut getarnt unentdeckt im Gebüsch zwischen dem Herbstlaub aufhalten können.

Fünf verschiedene Gelbeulen kommen auf der Wiese vor: Linden-Gelbeule (Tiliacea citrago), Gold-Gelbeule (T. aurago), Bleich-Gelbeule (Xanthia icteritia), Violett-Gelbeule (X. togata) und der bereits oben erwähnte Star der Wiese: die Ulmen-Gelbeule (X. gilvago, s. Foto oben)
Wintereulen

Schon wenige Tage nach der ersten Herbsteule kam am 22. September die erste Wintereule (Gattung Conistra) an den Köder, die Heidelbeer-Wintereule (Conistra vaccinii). Trotz des Namens treten Wintereulen schon im Herbst auf, aber anders als die Herbsteulen überwintern die Tiere als Falter. Und im Winter findet man oft nur noch sie – jedenfalls dann, wenn es nicht zu kalt ist. Die Heidelbeer-Wintereule ist bei uns eine der häufigsten Eulenfalter im Herbst und Winter. Nach ihrem ersten Erscheinen auf der Wiese trat sie fast täglich auf mit einem Höhepunkt am 11. Oktober mit 26 Exemplaren. Auf Heidelbeere ist sie nicht angewiesen, die Raupen fressen an einer Vielzahl von Kräutern und Gehölzen.

Weitere Wintereulen der Wiese sind Gebüsch-Wintereule (C. ligula), Rotkopf-Wintereule (C. erythrocephala), Rost-Wintereule (C. rubiginea, Foto s. oben) und die Schwarzgefleckte Wintereule (C. rubiginosa), die als letzte die Bühne betrat. Auch die Satelliten-Wintereule (Euspilia transversa, s. Foto unten) zählt man im Deutschen zu den Wintereulen, sie gehört aber wissenschaftlich in eine andere Gattung.

Und sonst?

Bei den Besuchern am Köder handelt es sich ganz überwiegend um Eulenfalter (Familien Erebidae & Noctuidae). Auf sie ist der Köder abgestimmt. Zwischendurch saßen aber auch Nachtfalter aus anderen Familien am Köder, wie z. B. Gelbspanner (Opisthograptis luteolata) und Perglanzspanner (Campaea margaritaria). Sie werden nur selten durch Köder angelockt, sondern fliegen eher ans Licht. Außerdem gab es hin und wieder Zünslerarten und einmal die in Vogelnestern lebende Fleischfarbene Nestmotte (Tinea semifulvella). Die skurrilste Gestalt aber war sicherlich das Winterfedergeistchen (Emmlina monodactyla). Tagsüber fand man am Köder gelegentlich den Admiral (Vanessa atalanta).

Natürlich wurden auch Nichtfalter durch den starken Geruch des Köders angelockt, insbesondere Wespen und Hornissen, aber auch bspw. Marienkäfer, Schnecken und Fliegen. In einer Nacht saß sogar eine Waldmaus auf einem Köderapfel und leckte ihn ab.

November – Wenig los bei den Eulen

Im November war am Köder zunehmend weniger los. Neue Arten kamen nicht mehr dazu. Es waren aber doch immer noch mehr zu finden als in Zeiten vor dem Klimawandel.

Die Herbsteulen wurden nun deutlich seltener und tauchten nur noch gelegentlich auf. Die Wintereulen dagegen sterben noch nicht, sondern durchleben als Falter den Winter. Viele von ihnen machen auch keine Winterpause, sondern bleiben der Wiese treu. Den ganzen Winter werden welche an den Köder kommen, mal mehr, mal weniger, wie ihnen gerade zu Mute ist. Wann das der Fall ist, ist für den Menschen schwer zu verstehen.

Im November passiert es seit Beginn der Untersuchungen zum ersten Mal, dass an besonders kalten Abenden kein einziger Falter am Köder zu finden ist.

Frostspanner übernehmen

Die Aufmerksamkeit auf der Wiese ziehen nun Frostspanner auf sich, die aber nicht zum Köder kommen. Sie nehmen als erwachsene Falter gar keine Nahrung mehr auf. Wenn eine bestimmte Temperatur knapp über Null unterschritten wird, schlüpfen sie aus den Puppen im Boden.

Die bei weitem häufigste Art bei uns ist der Kleine Frostpanner (Operophtera brumata), deren Männchen man jetzt in jedem Wald fliegen sehen kann. Oft treten sie zu Hunderten auf. Die Weibchen sehen ganz anders aus als die Männchen. Sie haben keine funktionsfähigen Flügel mehr, krabbeln die Stämme hinauf und warten auf die Männchen, um begattet zu werden. Während man die dunklen Weibchen kaum sieht, flattern die Männchen nach Sonnenuntergang auffällig in großer Anzahl über die Wiese und setzen sich auf Stämme und Zweige. Wenn sie die vom Weibchen abgegeben Lockstoffe (Pheromone) wahrnehmen, nähern sich sich ihnen und paaren sich. Dies kann dauern und währenddessen sind sie besonders gut zu fotografieren. Zu erkennen ist ein Pärchen schon von weitem daran, da die Männchen bei der Paarung – anders als sonst – kopfüber sitzen.

Sehr viel seltener findet man auf der Wiese den deutlich größeren und auffälliger gezeichneten Großen Frostspanner (Erannis defoliaria), von dem bisher nur ein einziges Männchen auf einem Strauch sitzend gefunden wurde.

Auch wenn die Art deutlich seltener ist als der Kleine Frostpanner, gehört sie bei uns doch zu den häufigen Arten und ist in NRW weit verbreitet. Wie die meisten Spanner kann man sie am besten mit Lichtquellen anlocken.

Alle Funde vom Tiere, Pflanzen und Pilzen auf der Wiese findet man übrigens bei nrw.observation.org

(Text: Armin Jagel & Jonas Mittemeyer, ebenfalls veröffentlicht unter www.bund-bochum.de)

Veröffentlicht 28. November 2020 von Armin Jagel in Eulenfalter, Phänologie

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